Meer aus Rotem Fingerhut im Königsforst 2009 auf einer durch Kyrill niedergelegten Fichtenanbaufläche
© Holger Sticht
Der Orkan Kyrill,
der Nordrhein-Westfalen am 18. und 19. Januar 2007 heimsuchte, sorgte bis
heute für unzählige Schlagzeilen. In Bezug auf Natur und Landschaft war
meist von "Verwüstungen" und "Waldschäden" die Rede. Tatsächlich
entpuppte sich der Orkan als Segen für die Artenvielfalt und große
Entwicklungschance für die durch Forstwirtschaft gebeutelte Landschaft.
Zunächst einmal darf festgehalten
werden: Luftbewegungen sind ein natürliches Phänomen, das ungefähr so alt
wie dieser Planet ist. Insofern ist es nicht überraschend, dass
es Habitate und Arten gibt, die von diesen dynamischen Ereignissen
profitieren.
Königsforst am 20. Januar 2007: nur die Anbauflächen aus Nadelholz wurden geschädigt
© Holger Sticht
Die Bewaldung ist in der
naturnahen und natürlichen Landschaft kein stabiler Zustand, sondern häufig nur
eine Momentaufnahme, eine Sukzessionsphase von begrenzter Dauer. Ãœberalterung,
Feuer, Insektenmassenvermehrungen, Wind- und Eisbruch, durch Insekten, Pilze
oder Bakterien hervorgerufene Krankheiten usw. können zu variierenden
Zeitpunkten zu einem Zusammenbruch des Waldes führen. An die sich an den
Zusammenbruch anSchließenden Vegetationsphasen, z.B. Ruderal- und
Pionierwaldphase sind zahlreiche Arten und Pflanzengesellschaften
gebunden. Dass all diesen verschiedenen Phasen in unserer heutigen
Landschaft, selbst in den meisten Naturschutzgebieten kein Raum mehr
gegeben wird, ist eine der wesentlichen Ursachen für den nach wie vor
anhaltenden Artenschwund. Insofern war aus Naturschutzsicht, und das kann an
dieser Stelle anhand der Aufnahmen für den Naturraum der Bergischen
Heideterrasse belegt werden, der Orkan ein positives und wichtiges
Ereignis.
Mai 2010 auf Kyrillfläche im Königsforst: Ginsterheide, wo 4 Jahre zuvor außer Fichte nichts wuchs oder blühte
© Holger Sticht
Der gefährdeten Vogelarten
Feldschwirl und Baumpieper, die durch die Aufforstungen Mitte des 20. Jahrhunderts
verdrängt worden waren, konnten nur aufgrund des Orkans wieder phasenweise das Naturschutzgebiet
Königsforst besiedeln. Auch bundesweit gefährdete Arten wie Zauneidechse und
Schlingnatter konnten im Königsforst wieder häufiger aufgefunden werden, wahrscheinlich
weil sie sich auf den zahlreichen neu entstandenen Lichtungen wieder erfolgreich vermehren
konnten. Das in NRW gefährdete Hundsveilchen tauchte neben dem Heidekraut in
der Schluchter Heide an Stellen wieder auf, wo jahrzehntelang Fichtenforste
kein Licht an den Boden ließen.
Calluna-Heide und Straußgrasflur auf Kyrillfläche in der Schluchter Heide 2009
© Holger Sticht
Nicht nur vor dem
Hintergrund, dass Orkane natürlich und ökologisch bedeutsam sind, ist es
sachlich falsch, von Waldschäden zu sprechen. Denn in den wenigsten Fällen
wurden durch Kyrill tatsächlich Bäume in Wäldern entwurzelt,
sondern es wurden Forste, d.h. durch Anpflanzung begründete Holzplantagen
niedergelegt. Nach wissenschaftlicher Definition sind Wälder nur solche
Bestände, die aus der selbständigen Vegetationsentwicklung hervorgehen. Angepflanzte Baumbestände dagegen sind Forstökosysteme, keine Waldökosysteme. Diese Forste zeichnen sich durch eine
monotone Altersstruktur, Strukturarmut aufgrund der unnatürlich engen Pflanzung und häufig auch durch nicht standortheimische Arten oder Sippen aus. So wurden auf der Heideterrasse fast ausnahmslos
Fichten, Douglasien, Tannen und Kiefern entwurzelt, die von Natur aus hier
gar nicht vorkommen.
Insofern darf also weiterhin festgehalten
werden: es gab Forstschäden, d.h. forstwirtschaftliche Schäden, aber
Waldschäden gab es de facto nicht. Diese Forstschäden sind natürlich aus
Sicht des Forsteigentümers beklagenswert, aber ursächlich auch in der nicht angepassten
Bewirtschaftung zu suchen. Letztendlich ist es der fehlerhafter Anbau, nicht der Orkan gewesen, der zu den wirtschaftlichen Schäden geführt hat.